Herr Präsident/ Frau Präsidentin,
  liebe Kolleginnen und Kollegen,
  
  was ist passiert, dass wir heute in diesem Rahmen, am letzten Plenartag im Jahr 2017, über die Bekämpfung von Antisemitismus in Deutschland debattieren müssen? Wieso müssen wir uns im 21. Jahrhundert dafür schämen, dass auf den Straßen deutscher Städte Judenhass so offen zur Schau gestellt wird, und auch dafür, dass die jüdische Gemeinde in Mülheim an der Ruhr und anderen Städten ihre Feierlichkeiten zum Chanukka-fest auf dem Synagogenplatz abgesagt hat, weil zu große Sicherheitsbedenken bestanden haben?
  
  
  Wenn Leonid Goldberg, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Wuppertal, in der Rheinischen Post vom 15.12.2017 zitiert wird mit den Worten: „Es ist schrecklich, dass in Deutschland Synagogen immer noch bewacht werden müssen“, dann hat er damit mehr als recht. Wir erinnern uns: die drei jungen Palästinenser, die 2015 auf die Wuppertaler Synagoge einen Brandanschlag verübten, wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt, 
  weil es keine Anhaltspunkte für eine antisemitische Motivation gab. Haben wir Antisemitismus in den vergangenen Jahres verharmlost oder lediglich als „Israel-Kritik“ abgetan, oder ist das Phänomen plötzlich wieder aufgetaucht? Warum hat sich die Grenze zwischen „Kritik“ und „Antisemitismus“ zu weit in die falsche Richtung bewegt?
  
  „Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit“ dieser von Kurt Schumacher oft zitierte Satz hat vor dem Hintergrund antisemitischer Ausschreitungen in Berlin eine besondere Bedeutung. 
  
  
Er verlangt einen genauen und unverstellten Blick auf die Gesellschaft,  um Antisemitismus dort zu identifizieren wo er auftaucht und ihm  entgegenzutreten.
  
  Zur Betrachtung der Wirklichkeit gehört auch  die Erkenntnis, dass Antisemitismus nicht nur ein Problem ist, dass uns  in rechtsextremen Kreisen begegnet, sondern in vielen Milieus verankert  ist. 
  Antisemitismus ist leider der Bereich, wo sich Extremisten aller Art und Couleur treffen und worin sie sich einig sind. 
  
  Seit  Jahren bekämpfen wir nun – zurecht (!) – den rechtsextremen  Antisemitismus und sind uns darin als demokratische Parteien einig.  Daher möchte ich dieser Richtung an dieser Stelle keine weitere Redezeit  widmen; ohne den Blick nach „rechts“ zu unterlassen, sollten wir  unseren Blick weiten und allen Formen des Antisemitismus noch  entschiedener entgegentreten. 
  
  Eine davon ist der Antisemitismus in linksextremen Kreisen. 
  
  Laut  einer Studie der FU Berlin aus dem Jahre 2016 stimmten 34 % der von den  Forschern als linksextrem eingestuften Personen der Behauptung zu,  Juden hätten in Deutschland zu viel Einfluss. 
  
  
  Dieser  linksextreme Antisemitismus wurde zu lange verharmlost. Zu lange hat man  geglaubt linken Antisemitismus könne es nicht geben. Oft im Gewand  eines „Anti-Zionismus“ oder einer angeblich berechtigten Israelkritik  kommt eine Geisteshaltung zu Tage, mit der man den Boykott israelischer  Waren zu rechtfertigen versucht oder das Verbrennen israelischer Fahnen.  
  
  Liebe Kolleginnen und Kollegen hier besteht Handlungsbedarf. Nochmals: Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz!
  
  Dieser  Satz ist nicht relativierbar. Er gilt unabhängig davon, von wem oder  aus welcher politischen oder kulturellen Richtung Antisemitismus sich  äußert. 
  
  Ich möchte das auch in aller Deutlichkeit sagen:
  Die  freiheitlich-demokratische Grundordnung gilt für alle hier lebenden  Menschen gleichermaßen, unabhängig davon, ob sie hier geboren wurden  oder zu uns gekommen sind. Es darf hier nichts verharmlost oder  verschwiegen werden.
  Es gibt keinen kulturellen Rabatt. Auch  importierte Problemkonstellationen müssen sich innerhalb des  demokratischen Diskurses bewegen. 
  
  Hier sind wir als Politik und  Gesellschaft gefordert auch die, die zu uns kommen, an unseren Werten  und Grundsätzen zu messen und diese einzufordern.
  
  Unsere heutige  Debatte soll ein Zeichen setzen. Mehr können wir an dieser Stelle nicht  tun, aber weniger dürfen wir auch nicht tun.
  
  
  Der Holocaust  hat die deutsche Geschichte in ein „Davor“ und ein „Danach“ geteilt.  Meine Damen und Herren, es kann und darf nicht vergessen werden, dass  wir im „Danach“ leben. Wir verdanken es jüdischen Überlebenden, die sich  nach 1945 entschieden haben in Deutschland zu bleiben, dass heute  wieder rund 27.000 Menschen jüdischen Glaubens in Nordrhein-Westfalen  leben.
  
  
  Menschen, die nach Deutschland kommen und Bürgerinnen  und Bürger dieses Landes werden sollen, müssen unsere Geschichte und  unseren Wertekanon übernehmen. Das schließt mit ein, dass Deutschland  eine besondere Beziehung zu Israel hat. Es ist absolut wichtig, dass  diese Menschen in die deutsche Gesellschaft und in das Schulsystem  integriert werden -  Orte, an denen unser Wertekanon vermittelt wird und  an der wir aus unserer deutschen Vergangenheit lernen.
  
  Es darf  nie wieder ein „Davor“ und ein „Danach“ geben; aber wir dürfen nicht  aufhören an das Geschehen zu erinnern, um das Bewusstsein dafür  wachzuhalten,  wie gefährlich Antisemitismus ist.
  
  Abschließen  möchte ich mit einer Feststellung: Wenn NRW-Innenminister Herbert Reul  der Bildzeitung (15.12.1017) sagt: „Mir ist es auch persönlich ein  wichtiges Anliegen, dass jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in NRW  sicher leben können“ und dass jüdische Einrichtungen besonders geschützt  und Sicherheitsbehörden besonders sensibilisiert und wachsamen sind,  dann spricht er mir und meiner Fraktion aus der Seele. 
  Ich wünschte nur, dass dies eine Selbstverständlichkeit wäre und der besondere Schutz nicht nötig.“