Das Land Nordrhein-Westfalen braucht eine zentrale „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus“

Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP
Drucksache 17/10848

 
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
 
Antisemitismus ist ein Thema, dass wir – leider! – regelmäßig im Plenum beraten.
 
Nachdem wir hier fraktionsübergreifend beschlossen haben, dass Nordrhein-Westfalen eine Antisemitismus-Beauftragte braucht, konnte diese ehrenamtliche Position sehr gut besetzt werden mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die sich sehr rege engagiert.
 
Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat nun ihren ersten Bericht vorgelegt, in dem sie Fakten, Projekte und Perspektiven aufzeigt.
 
Leider müssen wir darin erfahren, dass der Antisemitismus auch bei uns in Nordrhein-Westfalen weiter zunimmt, und dass Übergriffe, Beschimpfungen und körperliche Verletzungen immer mehr werden.
 
Dazu liefere ich gerne eine aktuelle Zahl, die aus der Antwort auf die Kleine Anfrage „Antisemitische Straftaten im ersten Halbjahr 2020“ stammt, die Anfang dieses Monats veröffentlicht wurde.
 Im ersten Halbjahr 2020 wurden im Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität in Nordrhein-Westfalen 103 Straftaten dem Unterbegriff „antisemitisch“ zugeordnet. 
 
Die lassen sich nochmals aufschlüsseln, nach 101 politisch rechtsmotivierten Taten und jeweils einem Fall religiöser Ideologie sowie ausländischer Ideologie. In all diesen Fällen wurde ein Ermittlungsverfahren wegen antisemitischer Straftaten eingeleitet. 
 
In der weit überwiegenden Mehrheit der Fälle wurden jedoch die Ermittlungen eingestellt. Grund für die Einstellung des Verfahrens war oftmals, dass kein Täter ermittelt werden konnte.
 
Die meisten dieser 103 Straftaten aus dem ersten Halbjahr waren Volksverhetzungen.
 
Jetzt kann man natürlich sagen: 103 Taten in 6 Monaten hochgerechnet aufs ganze Jahr – das ist ja weniger als zuvor…… 
 
Aber erfasst wird hier nur, was offiziell geworden ist, nicht die vielen unentdeckten oder nicht zur Anzeige gebrachten  Taten und schon gar nicht das antisemitische Gedankengut, das sich ausbreitet.
 
Es beschämt mich persönlich sehr, wie der Davidstern von Impfgegnern und Corona-Leugnern missbraucht wird. 
 
Im Rahmen der Corona-Pandemie sind die altbekannten antisemitischen Vorurteile zu neuen Verschwörungsmythen avanciert. Das können und dürfen wir nicht hinnehmen, hier ist es notwendig, gegenzusteuern!
 
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Antisemitismus ist ein Zeichen einer gefährlichen, gesellschaftlichen Enthemmung. Dass daraus Zorn, Aggression und Gewalt erwachsen können, erklärt sich quasi von selbst. Dazu muss man eigentlich keinen Blick in die Geschichtsbücher werfen – obwohl es manchen Mitmenschen durchaus nicht schaden könnte.
 
Stoppen können wir den Antisemitismus nur durch Aufklärung. Das sehen wir als NRW-Koalition sowohl als gesellschaftliche wie auch politische Aufgabe an.
 
Wir haben heute einen gemeinsamen Antrag vorgelegt in dem wir die Einrichtung einer zentralen „Recherche- und Informationsstelle“ Antisemitismus fordern.
 
In unserer Gesellschaft muss eine noch stärkere aktive Handlungskompetenz erreicht werden, um den wieder aufkeimenden Antisemitismus zurückdrängen zu können. Im eigenen Umfeld sowie vor Ort. 
 
Diese neu zu schaffende Stelle soll sowohl strafrechtlich relevantes wie auch unterhalb der Strafrechtsgrenze liegendes Verhalten erfassen.
 
Sie soll pädagogische Konzepte der Aus-, Fort- und Weiterbildung zum Thema Antisemitismus im Schuldienst, erzieherischen Berufen sowie für Staatsbedienstete in Justiz, Exekutive und Verwaltung auf ihre Wirksamkeit überprüfen.
 
Wir müssen jetzt – so schnell wie möglich! – gegensteuern, damit Beschimpfungen und Schmähungen nicht länger den Alltag vieler Jüdinnen und Juden in Nordrhein-Westfalen prägen.
 
Die Zeit drängt! Daher stellen wir gemeinsam mit Bündnis 90/ Die Grünen und der SPD einen Änderungsantrag heute zur direkten Abstimmung.
 
Nach meiner Kenntnis ist auch die Finanzierung dieser neuen Stelle aus dem laufenden Haushalt gedeckt.
 
Das Dunkelfeld ist riesig! Der Antisemitismus verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Wir müssen jetzt versuchen, dieses zerstörerische Feuer einzudämmen.
 
Wir müssen jetzt Vorfälle ans Licht bringen, Präventionsarbeit mit zielgerichteten Angeboten stärken und uns einen umfassenden Überblick über die antisemitische Gefährdung und deren Ursache verschaffen.
 
Eine Meldestelle, wie wir sie in unserem Antrag fordern, gibt es bereits im Bund und in einigen Bundesländern. Von den dortigen Erfahrungen können wir profitieren und unsere Stelle nach deren Muster aufbauen. Sie hat sich dort als niederschwellig erreichbare Anlaufstelle für betroffene Menschen erwiesen.
 
Wir brauchen eine zentrale „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus“! Wer diese Meinung teilt, sollte gleich mit „Ja“ abstimmen.